Hallo zusammen,
nachdem Kendra mir eine nette Mail geschrieben hat, in der sie mir einige Fragen stellte und mich auf den Thread hier aufmerksam machte, möchte ich auch kurz etwas dazu schreiben. Es freut mich zu lesen, dass Ihr Euch wohl eingehender mit Euren Spinnen beschäftigst und auch über die Konsequenzen einer Paarung nachdenkt. Leider tun dies viel zu wenige und so kommt es ja oft genug zu ungewollten Hybriden und der leidigen Diskussion darüber. Schließlich weiß keiner was eine "echte"
Avicularia metallica ist und wie man die nun morphologisch sicher von den anderen
Avicularia-Arten unterscheidet.
Nun aber zu den brenneden Fragen: diese lassen sich leider nicht so einfach beantworten, wie wir es gerne hätten, denn Vogelspinnen sind leider wissenschaftlich nur sehr schlecht untersucht. Dies liegt u.a. auch an der langen Lebenserwartung und der, für ein wirbelloses Tier, sehr späten Geschlechtsreife. Ein Drosophila-Generationszyklus etwa dauert 14 Tage, bei Cupiennius immerhin schon 9 Monate, bei Vogelspinnen mehrere Jahre.
Allerdings gibt es auch bei Spinnen Vaterschaftsuntersuchungen, z.B. an Zitterspinnen von Schäfer & Uhl 2002. Besonders wichtig für eine erfolgeiche Vaterschaft ist demnach bei den Zitterspinnen wohl jünger zu sein und damit auch heftiger mit den Pedipalpen zu klopfen. Interessant ist auch, dass die Männchen sich bei einer zweiten Paarung deutlich mehr anstregen müssen, wenn das zweite Männchen aber zu einer erfolgreichen Paarung ist, ist es wahrscheinlicher, dass es dann der Vater des Nachwuchses ist. Das sollte man vielleicht auch mal bei der nächsten Vogelspinnen-Paarung im Hinterkopf behalten.
Interessant ist auch die Praktikumsarbeit von Amey 2003, hier wird nochmal genau auf die Paarung von verwandten und nicht verwandten Zitterspinnen eingegangen:
Wir führten Doppelverpaarungen durch, wobei wir zuerst verwandte und nicht verwandte Tiere in getrennten Gruppen verpaart haben. Bei dieser Erstverpaarung hatte die Verwandtschaft keinen Effekt auf die Akzeptanz des Partners. Es kopulierten 100% der Versuchstiere.
Bei der Wiederverpaarung, bei der Verpaarungen mit nicht verwandten Männchen durchgeführt wurden, waren die Weibchen wesentlich wählerischer und ließen weniger oft eine Kopulation zu. Es konnte allerdings kein direkter Zusammenhang mit Inzuchteffekten hergestellt werden.
Die Anzahl Tasterbewegungen sowie der geschlechter-abhängige Abbruch der Kopulation konnten nicht auf Inzucht zurückgeführt werden.
Bei der Kopulationsdauer der Wiederverpaarung zeigte sich, dass Weibchen, die sich bei der Erstverpaarung mit einem Verwandten gepaart haben, eine längere Kopulation zulassen als die normal verpaarten Weibchen.
Ist dieses Verhalten eine Strategie zur Inzuchtvermeidung? Im Gegensatz zur Erstverpaarung hat die Wiederverpaarungsdauer für den Vaterschaftserfolg des jeweiligen Männchens eine Bedeutung, da bekannt ist, dass die Anzahl der Tasterbewegungen in den wenigen Minuten der Zweitverpaarung den Anteil an der Nachkommenschaft bestimmt.
Insgesamt denke ich kommt Inzest bei Vogelspinnen in der Natur sehr häufig vor, da bei den mehrjährigen Tieren zwangsweise adulte Geschwistertiere irgendwann "in Kontakt" kommen, gerade wenn die Spinnen in Kolonien leben. Ob das irgendwann zu Schädigungen führt kann man bisher wohl nicht sagen. Interessant ist, dass bei der "klassischen" Tierzucht erst nach mindestens 20 Generationen fortlaufender Bruder-Schwester- bzw. Eltern-Nachkommen-Paarung von einem Inzuchtstamm gesprochen wird (Kramer 1999).
Viele Grüße,
Boris
P.S.: Hier noch die kompletten Zitate:
P.P.S.: Falls jemand den Artikel von Martin Schäfer und Gabriele Uhl komplett lesen möchte: Viele Wissenschaftler haben auf ihrer Homepage eine Publikationsliste, häufig finden sich dort auch direkte Links zu den entsprechenden PDFs. Am einfachsten sucht man mit dem Titel des Artikels und häufig ist es dann ganz leicht, manchmal ist es sogar der oberste Treffer.