Forscher bringen Bakterien zum Spinnen

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Von Holger Dambeck

Erstmals haben Forscher ein Verfahren entwickelt, das die industrielle Herstellung künstlicher Spinnenfäden ermöglicht. Die extrem belastbaren Fasern könnten in der Medizin und bei der Herstellung neuer Werkstoffe ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

Spinnenfäden haben das Zeug zum Hightech-Material. Die extrem dünnen, über Jahrmillionen optimierten Eiweißketten sind so stabil, dass sie selbst den Aufprall eines vergleichsweise riesigen Käfers unbeschadet überstehen. Synthetische Fasern können da kaum mithalten: Sie sind entweder reißfest oder elastisch, Spinnenseide hat beide Eigenschaften zugleich.

Schon seit 30 Jahren versuchen Forscher, Spinnenseide industriell herzustellen - bislang vergeblich. Für die großtechnische Produktion der Bio-Fasern in Spinnenfarmen sind die kleinen Krabbeltiere nicht geeignet, sie sind zu aggressiv und neigen zum Kannibalismus. "Die Weibchen fressen die Männchen, und wenn keine mehr da sind, dann fressen sie sich gegenseitig", erläutert Thomas Scheibel von der TU München.

Auch das Einschleusen von Spinnenseide-Genen in Bakterien oder Hefen misslang. Die kanadische Firma Nexia Biotechnologies bemühte sogar genetisch manipulierte Ziegen, um die gefragten Fäden in großen Mengen zu produzieren - die Ausbeute war jedoch nicht zufrieden stellend.

Dem Münchner Team von Scheibel und seinen Kollegen von der Hebrew University in Jerusalem gelang nun jedoch, woran Wissenschaftler bisher gescheitert waren: die Produktion von Spinnenseide in einem industriell anwendbaren Verfahren. Sie entwickelten gleich zwei gentechnische Methoden, bei denen stabile Fäden erzeugt werden.

"Wir können in 48 Stunden so viel Spinnenseide produzieren wie 10.000 Ziegen der Firma Nexia", sagt Scheibel im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Die in Jerusalem und München entwickelte Technologie wurde zum Patent angemeldet, die Wissenschaftler sehen gute Chancen für ihren Bio-Hightech-Werkstoff.

Alternative zu Kevlar und Nylon

Als medizinische Anwendung bieten sich unter anderem besonders kleine chirurgische Fäden an, die bei Augenoperationen und in der Neurochirurgie benötigt werden. Dort setzen Mediziner bislang auf Materialien wie Nylon oder Kevlar. "Solche synthetischen Materialien sind biologisch nicht abbaubar und müssen in einer zweiten Operation entfernt werden", erklärt Scheibel. Spinnenfäden aus Eiweißen seien hingegen nach sechs Monaten verschwunden.

Auch künstliche Implantate wollen die Münchner Forscher mit ihrer Spinnenseide überziehen, weil diese dadurch "biokompatibel" werden und eine Zellansiedlung möglich machen.

Die außergewöhnliche Stabilität der Bio-Fäden könnte auch Arbeitshandschuhe oder Spezialpapiere extrem reißfest machen. Immer wieder genannt wird auch der Einsatz in schusssicheren Westen, die unter anderem aus Kevlarfasern bestehen - auch wenn Scheibel dies eher für unwahrscheinlich hält.

Im ersten, gemeinsam mit der Hebrew University entwickelten Verfahren schleusten die Forscher mit Hilfe eines Virus die Spinnenseiden-Gene in die Zellen einer Raupe ein. Weil Insekten und Spinnen sich genetisch stark ähneln, gelang der Einbau der Gensequenzen relativ leicht, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt "Current Biology". "Die Zellen fingen nach ein bis zwei Tagen an, das Spinnefadenprotein zu produzieren", sagt Scheibel.

Die Raupentechnik hat jedoch ihre Grenzen. Der Seidenfaden wächst innerhalb der Zelle so lange, bis sie platzt. Höchstens 0,1 bis 0,5 Millimeter lang werden die Fäden auf diese Art.

"Die Fadenlänge ist unbegrenzt"

Bakterien dürften sich zum "Spinnen" längerer Fäden wesentlich besser eignen, wie das zweite, in München entstandene Verfahren zeigt. Ein direkter Einbau des Spinnengens in Bakterien führte nicht zum Erfolg, weil die fremde Sequenz bei der Proteinproduktion ignoriert wird. "Wir haben deshalb das Seidenprotein zurückübersetzt in ein Gen, das Bakterien lesen können", erklärt Scheibel.

Das Ergebnis ist eine Lösung, die nur noch aus Seidenproteinen besteht. Um daraus Fäden zu spinnen, genügt die Zugabe einer Chemikalie. "Die Länge ist unbegrenzt", sagte der Münchner Chemiker. Neben den etwa einen Mikrometer dünnen Spinnenfäden können auch Nanofasern von der Größe eines Nanometers oder Mini-Kugeln gewonnen werden, wenn andere Chemikalien zugesetzt werden. Scheibel glaubt, dass solche Nanofasern eine biologisch abbaubare Alternative zu Nanoröhrchen darstellen, die ausschließlich aus Kohlenstoff bestehen.

Jede Spinne hat ihr eigenes Rezept

Das Geheimnis der überragenden Eigenschaften von Spinnenseide ist die Existenz vieler, aber schwacher Wechselwirkungen zwischen den Molekülen der Eiweißkette. Bedingt durch die molekularen Anordnung, die die Wechselwirkung maximiert, entsteht eine große Dehnbarkeit und extreme Belastbarkeit in Verbindung mit enormer Festigkeit.

Auf der Welt gibt es über 30.000 bekannte Spinnen, von denen jede Art ihr spezielles "Rezept" für Fäden hat. Spinnen erzeugen meist mehrere Fadenarten mit unterschiedlichen Eigenschaften, abhängig von der jeweiligen Funktion. Spinnennetze widerstehen mikrobiologischen Angriffen und sind wasserfest. Die Fäden können stärker als Stahl und elastischer als Gummi sein.

Quelle: http://www.spiegel.de
 
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